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Text von Sonntag, 14. April 2002


Keine Kritik: Aus Auschwitz nichts gelernt?

Marburg * (FJH)
Wenn der Holocaust eines lehrt, dann ist es der uneingeschränkte Respekt vor der Würde jedes Menschen. Grade diese Lektion aber scheint der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon nicht gelernt zu haben. Hunderte von Menschen in Palästina mussten in den letzten Wochen sterben, weil die israelische Armee internationales Recht und die Grundregeln der Humanität nicht achtet.
Kritik an diesem Vorgehen aber wird nun als "antisemitisch" diskreditiert. Das jedenfalls war der Tenor einer demonstration jüdischer Organisationen am Sonntag (14. April) in Berlin. Kritik an Israel - so hörten die kknapp 1.000 Demonstrantinnen und Demonstranten dort - bestätige nur antisemitische Kräfte in ihren Positionen. Die kritische Berichterstattung bundesdeutscher Medien über Sharons Politik wurde ebenfalls als "antisemitisch" verurteilt.
Mit dieser Haltung stellen jüdische Organisationen dem israelischen Ministerpräsidenten einen Freibrief aus. Er könnte - ginge es nach ihnen - schalten und walten, wie er will. Internationales Recht würde einfach zur Makulatur. Denn jede Kritik an Sharons politik wäre antiisraelisch und damit zugleich auch antisemitisch.
Es muss aber möglich sein und bleiben, regierende zu kritisieren, ohne damit gleich als Gegner des von ihnen regierten Volkes zu gelten. Wer George Bush nicht mag, ist deswegen noch lange nicht antiamerikanisch. Wer Gerhard Schröder kritisiert, ist damit schließlich auch noch nicht antideutsch.
Auch Vorbehalte gegen die Politik von Jassir Arafat und der Palästinenserverwaltung entheben nicht von einer Erkenntnis: Es kann nicht angehen, dass man Arafat erst jede politische Handlungsmöglichkeit nimmt und ihn festsetzt, um dann von ihm "wirksame Maßnahmen" zur Bekämpfung des Terrors zu fordern. Keine demokratische Regierung der Welt kann Terrorismus vollständig verhindern. Dies ginge - wenn überhaupt - nur in einem Polizeistaat.
Sonderbar ist auch, dass immer dann Selbstmordattentate in Israel geschehen, wenn Gespräche oder Friedensvereinbarungen mit Arafat anstehen. Sie werden dann auch immer prompt als Vorwand benutzt, nicht mit Arafat zu sprechen oder bereits getroffene Vereinbarungen nicht zu erfüllen.
Eine ernsthafte Ablehnung des Terrorismus würde indes ein besonnenes Vorgehen gerade nach Terroranschlägen erfordern. Schließlich darf sich die Politik nicht dem Terror beugen. Der Respekt vor der Menschenwürde aller - ohne Ansehen ihrer Nationalität, Religionszugehörigkeit und politischen Überzeugung - wäre die wichtigste Konsequenz aus dem schrecklichen Massenmord des Nazi-Regimes an mehr als sechs Millionen Menschen.
Ein israelischer Ministerpräsident, der die Bürgerinnen und Bürger des benachbarten Palästina skrupellos bombardieren lässt, missachtet die historischen Lehren aus Auschwitz, Treblinka, Theresienstadt und Dachau. Indem sein menschenverachtendes Vorgehen als offizielle Politik Israels toleriert wird, wirkt eben diese Politik , die palästinensischen Hass gegen Israel nur vergrößern kann, letztlich antisemitisch.
Es ist allerhöchste Zeit, dass die besonnenen Kräfte die Oberhand gewinnen und dem Terror Einhalt gebieten. Das kann nur funktionieren, wenn alle Seiten auf Vorbedingungen verzichten. So heißt die Forderung der Stunde nun: "Shalom! Frieden! Peace now!" Und das ohne Vorbedingungen!


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