Text von Dienstag, 24. Dezember 2002
Marburg * (FJH)
Der Weg zur Krippe zog sich hin. Wie die Heiligen 3 Könige zog auch uns das Licht dieser Heiligen Nacht an. Die Christmette begann gegen 23.30 Uhr im Nachbarort. Das Weihnachtsoratorium hatte meinen Vater dorthin gelockt; und wir begleiteten ihn. Vor der Kirche trafen wir die Familie eines Schulkameraden. Reinhold und sein großer Bruder hatten eine Märklin-Eisenbahn. Wie ich ihn darum beneidete! Eineinhalb Stunden dauerte die Christmette. Ich war hundemüde, als wir gegen 1.20 Uhr wieder daheim ankamen. Aber die Mühe hat sich gelohnt: Zum nächsten Weihnachtsfest bekamen auch wir - meine damals vier Brüder und ich - eine Märklin-Eisenbahn. Sonst lagen auf dem Gabentisch immer nur Socken, Hemden oder Pullover; aber in jenem Jahr - es muss 1965 oder 1966 gewesen sein - freuten wir uns über eine riesige Packung von Märklin. Enthalten waren darin drei Waggons, eine Lok, ein ovales Schienen-Rund und der obligatorische Trafo. Gespielt hat mit der Eisenbahn freilich vor allem mein Vater. Er fürchtete immer, wir Kinder könnten etwas kaputtmachen. Als wir 1968 in eine größere Wohnung umzogen, richteten mein Vater und mein ältester Bruder einen eigenen Eisenbahn-Keller ein. Die Anlage wuchs und gedieh. Zu jedem Weihnachtsfest kamen neue Waggons oder Lokomotieven hinzu. Nun war es vor allem mein ältester Bruder, der da tüftelte und bastelte. Immer neues Gerät kaufte er von seinem Taschengeld. Aus dem einfachen Oval wurde ein raffiniertes Streckennetz. Die Schinen hatten damals zwar schon Punktkontakte, waren aber immer noch aus Blech. Die Lokomotiven freilich waren sehr feinziseliert und modellgetreu. Aber solch eine Lok war viel zu teuer für unser spärliches Taschengeld. Jahrelang wuchs die Eisenbahn vor allem mit jedem Weihnachtsfest. Auf dem Gabentisch lagen immer mal wieder Schienen, Loks, Waggons oder Bausätze für Häuschen. Hauptsächlich aber lagen dort weiterhin Strümpfe, Hemden, Pullover und Süßigkeiten. Gefreut haben wir uns über jede Gabe gleichermaßen. Von frühester Kindheit an haben wir Bescheidenheit gelernt. Unsere Geschenke zu Weihnachten waren auch eher bescheiden. Groß war indes die Freude darüber. Schließlich verkündete jedes Geschenk: "Ich habe Dich lieb!" Gerade zu meinen Kindertagen dürfte es meinen Eltern sicherlich nicht leicht gefallen sein, ihre Kinderschar zu Weihnachten zu beschenken und zu verköstigen. Umso mehr betrüben mich heute Kaufrausch und Konsumterror in der Adventszeit. Erfreut hat mich hingegen die Klage des Einzelhandels über das "schlechte Weihnachtsgeschäft" in diesem Jahr. Christstollen und Marzipanbrote waren in Marburg zwar spätestens am Montag (23. Dezember) überall restlos ausverkauft, aber die großen Gaben noch lange nicht. Sollten die Menschen etwa doch gemerkt haben, dass weniger oft mehr ist? |