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Text von Montag, 6. Mai 2002


Hyperkörper: Zeigt her eure Füße!

Marburg * (ChH)
Was hat eine Werbung für Herrensocken mit den Ängsten der Gesellschaft zu tun? Auf den ersten Blick wohl nichts. Doch die Marburger Kulturwissenschaftlerin Kathrin Bonacker (35) stellt in ihrem Buch "Hyperkörper in der Anzeigenwerbung des 20. Jahrhunderts" genau diese These auf. Am Sonntag (5. Mai) präsentierte die ringelbestrumpfte Autorin im Schloßbergcenter ein Kapitel ihrer Untersuchung, das sich in erster Linie mit Kampagnen für Herrensocken beschäftigt.
Bonacker hat 17.000 Anzeigen archiviert. Sie hat untersucht, dass die Körper in der Anzeigenwerbung nicht nur die Schönheitsideale und Moden der jeweiligen Zeit zeigen, darüber hinaus geben sie auch die zeitgenössische Stimmung in der Bevölkerung wieder. Eines ihrer Beispiele ist die Kampagne "Krawatten für die Füße" aus den 80er Jahren. Abgebildet war der Oberkörper eines Mannes mit Hemd und Jackett. Er ist glatt rasiert und hat kurze Haare. Ungewöhnlich ist aber nicht nur die Socke, die er anstatt einer Krawatte auf der Brust trägt, er hat auch die Lippen zusammengekniffen und die Augenbrauen hochgezogen, was ihm ein albernes Aussehen verleiht. Bonacker bezeichnete ihn als "neuen Dussel".
Er gleicht eher einem Schuljungen als einem Schönling. Ungewöhnlich ist dieser Typus für die Werbung der 80er Jahre jedoch nicht, wie der Vergleich mit einer Waschmaschinen-Werbung zeigt, in der ein ähnlicher Typ auftritt. Welche zeitgenössische Stimmung sollen diese Hyperkörper also wiedergeben? Und was bedeutet die Tatsache, dass in der Sockenwerbung die Socken nicht an den Füßen zu finden sind?
In der Zeit vor den 70er Jahren war es vor allem wichtig, den perfekten Sitz der Socke zu zeigen. Diese durfte auf keinen Fall rutschen, außerdem mussten sie die perfekte Form der Fesseln betonen. Allerdings wirkten diese Anzeigen noch etwas bieder. In den 70ern wurde der erotische Reiz der Füße besonders hervorgehoben. Man war regelrecht auf sie fixiert. In den Kampagnen wird gefüßelt, eine Frau schmust mit einem Socken und man sieht sogar nackte Füsse.
Warum also verschwanden die Füße aus der Werbung der 80er Jahre? Waren die schwitzenden stinkenden Quadratlatschen zu unrein, um frische Socken zu präsentieren? Bonacker meinte, dass es eher was mit dem Spruch "Man fühlt sich auf die Füße getreten" zu tun habe. In dieser karrierebetonten Juppiezeit herrschte eine allgemeine Verunsicherung. Der Drang Karriere zu machen stand im Vordergrund. Gerade diese Angst zeigt sich auch in der Werbung; die albernen Dussel drücken auch Unsicherheit aus.
Bonacker hat in ihrem Buch aber nicht nur Füße untersucht. Das im Jonasverlag erschienene Werk befaßt sich mit den Prototypen der Werbung. Die interessanten Überlegungen der Autorin, beispielsweise zum Zusammenhang zwischen Aids und der Sockenwerbung, standen manchmal auf tönernen Füßen. Man würde Bonacker aber auf sicherlich auf dem falschen Fuß erwischen, wenn man dahinter einen Fußfetisch vermutete.


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