Text von Donnerstag, 28. März 2002
Marburg * (sfb)
"Sonette find ich so was von beschissen", diese Kritik war am Donnerstagabend (28. März) in der Waggonhalle zu hören. In der Reihe "Literatur und mehr - Ostern in der Waggonhalle" präsentierte Pruniella Fuchs ihr Programm "Reimzwang - Gedichte von Robert Gernhard". Aufgeschlagene Bücher, die kreuz und quer auf dem Boden lagen, waren zum Bühnenbild arrangiert, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mit viel Sprachwitz und unbekümmerter Respektlosigkeit zerrt auch Robert Gernhard viel Abgehobenes - vor allem aus dem Literaturbetrieb - auf den Boden der Tatsachen. So löst Gernhard die "Allegorie der fünf Männern" auf, wobei der fünfte, ein weinholender Mann nichts anderes ist als ein Mann, der Wein holt. Überhaupt hat es der Alltag ihm angetan, wenn er eine Reihe von banalen Verrichtungen aufzählt, die mit der Frage enden: "was soll nur aus mir werden, wenn ich nicht mehr bin?" Und noch ein Gedicht: "warum heißt der Löwe Löwe? Ganz klar, weil er die durch die Wüste löwt. Ein Tiger, heißt wie er heißt, weil er dasselbe gewal-tiger tut". Witz gepaart mit Ernst, überraschenden Wendungen und Sprachakrobatik sind Markenzeichen des wohl bekanntestesten Dichters der Nation, der von sich sagt, dass er die eigene "Rasse hasse". Fast beiläufig bemerkt die Schauspielerin Pruniella Fuchs, dass der 1937 im estnischen Reval geborene Gernhardt Malerei und Germanistik studiert und keine Familie hat. "Mal lebe ich in Berlin, mal in der Toskana." Aber so wichtig scheint das nicht zu sein. Das ist Gernhadt, so wie man ihn gern hat. Doch die Schauspielerin Pruniella Fuchs setzte noch einen drauf. Rotwein trinkend oder Chips knabbernd holte sie zwischen den Zeilen selbst die versteckesten Nuancen hervor, die der Leser sonst nicht auf Anhieb entdeckt hätte. Wie eine gelangweilte Pennälerin rezitierte sie das Gedicht "Sonette find ich sowas von beschissen", nachdem sie aus einer zerfledderten Kladde literaturwissenschaftliche Abhandlungen über das Sonnett heruntergeleiert hatte. Von einem zum anderen Augenblick wechselte sie je nach sujet den Ton. Urgemütlich locker und doch sehr präsent schaffte Fuchs die Gratwanderung zwischen "Heiter und Ernst". Wer bis dahin noch keinen Gernhardt gelesen hatte oder ihn nicht gut genug kannte, wurde dank dieser hervorragenden Rezitation auf die Vielschichtigkeit des Autors aufmerksam, der nicht nur witzig sein kann. Wer wollte, durfte sich am Schluß eine Rose mit nach Hause nehmen. Der Beifall galt dann nicht allein dem Meister der literarischen Satire, sondern nicht minder der stimmungsvollen performance. |