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Text von Sonntag, 17. Februar 2002


Trauerspiel: Clavigo, das Chamäleon

Marburg * (sfb)
"Zwei Seelen wohnen,ach, in meiner Brust!" Das sagt nicht nur Faust, das ist auch das Motiv des "Clavigo". Am Samstagabend (16. Februar) brachte das Hessische Landestheater das Trauerspiel aus Goethes edler Feder auf die Bühne. Die Premiere des weniger bekannten 5 -Akters fand im Fürstensaal statt - bei allerdings mäßiger Akustik.
Thema des Klassikers ist ein stark aufgeladener Konflikt zwischen zweckmäßiger Vernunft, die nach höheren Zielen strebt, und einer Liebe, die in trauter Zweisamkeit ihr Glück finden will. Sicherlich ließe sich ein Kompromiß arrangieren, aber nicht mit Clavigo, dem Titelhelden des 1774 verfassten Trauerspiels.
Gabriele Gysi inszenierte dieses faustsche Grundmotiv als zeitkritisches Pamphlet. Damals wie heute rangiert die berufliche Karriere an erster Stelle. Ihr wird das Privatleben untergeordnet, das allenfalls regenerieren soll. Schauplatz der Inszenierung war eine quitschmoderne Cocktailbar im Schicky-Micky-Milieu. Bevölkert war sie von aufstrebenden Yuppies, allesamt dynamisch und erfolgreich. Sämtliche Standesunterschiede, die in der literarischen Vorlage eine wichtige Rolle spielen, waren damit nivelliert. Warum eigentlich ?
Ansonsten blieb alles beim alten:
Clavigo (Michael Boltz), ein Archivar am Hofe des spanischen Königs, löst die langjährige Verlobung mit Marie (Nadine Pasta) auf. Dazu hat ihn sein Freund Carlos (Peter Meyer) geraten. Eine Heirat mit der armen und einflußlosen Marie würde seine beruflichen Aufstiegspläne durchkreuzen, so die Begründung. Maries Bruder, Beaumarchais (Gabriel Spagna) aber droht Clavigo, ihn in aller Öffentlichkeit als "abscheulichen Menschen" zu brandmarken. Clavigo erneuert daraufhin die Verlobung, nicht allein aus Opportunismus, sondern weil er Marie noch liebt. Doch der Gegenschlag läßt nicht auf sich warten. Carlos überredet Clavigo abermals die zart gesponnenen Bande wieder zu lösen. Leicht zu erraten, wie es weitergeht. Den wankelmütigen Clavigo zieht es wieder zu Marie, die mittlerweile hinüber ist. Auch Clavigo stirbt von Hand des rächenden Bruders. Das hindert ihn jedoch nicht daran, seine Marie noch im Tode zu ehelichen. Ende gut, alles gut, aber einfallslos.
Clavigo, den Johann Wolfgang von Goethe im zarten Alter von 24 Jahren verfasste, fällt wohl mit Fug und Recht in die Kategorie "Jugendsünde". Die immer wieder kehrenden Spannungsbögen des 5-Akters von Heiß nach Kalt und von Kalt nach Heiß lösten gähnende Langeweile aus. Allein die peppigen Schauspieler, die in ihrem jugendlichen Elan mitunter überdreht wirkten, hauchten dem angestaubten Stoff etwas Leben ein.
Eine Schlüsselzsene zeigte Carlos, wie er seinen Freund durch die Bar jagte. Diese Art von "Überzeugungsarbeit" veranschaulicht die Gehetztheit des treulosen Aufsteigers, der nicht weiß, wohin.
Makelos, ganz ohne Wenn und Aber, spielte Michael Boltz den schwierigen Wechsel vom aufstrebenden Jungkarrieristen zum reuigen Liebenden. Seine chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit arrangierte Boltz mit der gleichen Leichtigkeit, wie er seinen roten Krokoledermantel an und auszog. Wie kein anderer zog Clavigo, ständig hin- und hergerissen zwischen den Extremen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Für diese "Häutungen" bedankte es sich bei ihm mit deutlichem Applaus.


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