Text von Sonntag, 10. Februar 2002
Marburg * (sfb)
Einer, der wegen eines Kommafehlers dem Nervenzusammenbruch nahe ist, gilt hierzulande als durchaus normal und gesellschaftsfähig. Einer, der über das Kuckucksnest flog, kommt hingegen in die Klapse. Das Theaterstück "Einer flog über das Kuckucksnest" von Dale Wasserman nach Ken Kesey feierte am Samstagabend ( 9. Februar) in der Neuübersetzung von Ingeborg von Zadow im Theater am Schwanhof (TaSCH I) Premiere. Die Psychiatrie, die stellvertretend für Kirche, Schule oder Militär steht, ist Gegenstand einer hochprozentigen Gesellschaftskritik. Als ehemaliger Nachtwächter in einer psychiatrischen Klinik, weiß der 1935 geborene Kesey, wovon er schrieb. Institutionelle Gewalt auf der einen sowie Zivilcourage oder Duckmäusertum auf der anderen Seite sind die Themen des erstmals 1963 dramatisierten Romans. Der ultimative Held ist Randle P. Mcmurphy (Peter Libaug). Er soll den Rest seiner Haftstrafe in einer psychiatrischen Anstalt absitzen. Nicht krank, aber auf richterlichen Beschluß für verrückt erklärt, will man ihn zu einem nützlichen Glied der Gesellschaft umfunktionieren, auf Biegen und Brechen. Wo ist das besser möglich als in einer langweiligen Anstalt, die ein getreues Abbild der Gesellschaft ist? Die täglichen Tablettenrationen oder das immerwährende Gedudel von klassischer Musik sollen ruhig stellen. Fixierungen und Elektroschocks bis hin zu chirurgischen Eingriffen sollen eigenwilliges Fehlverhalten korrigieren. Obschon selten angewandt, hängt das alles wie ein Damoklesschwert über den verängstigten Insassen. Wer nicht krank ist, wird es. Nur Mcmurphy ist nicht zu brechen, vielmehr ist er es, der sämtliche Stationsregeln bricht und die Autorität der Stationsschwester Ratched (Uta Eisold), unterwandert. Dieser abgeklärt lächelnde Dämon in Weiß erstickt jeden noch so harmlosen Impuls von Lebensfreude, sei es über eine hart erkämpfte Fernsehübertragung, ein Basketballspiel oder eine ausgelassene Feier, - mit immer neuen Reglementierungen. Das anfangs harmlose bis komische Ränkespiel zwischen dem "schwer erziehbaren" Mcmurphy und der argusäugigen "Big Sister" hält in Atem, auch wenn es - wie nicht anders zu erwarten - tragisch endet. Uta Eisold, die Grande Dame des hessischen Landestheaters, mimte ein perfektes Abziehbild dieser Einrichtung: hell, adrett und sauber, aber kalt. Weniger Charme , dafür eine winzige Spur mehr preußisches oder zimtzickiges Auftreten hätten der Schwester Ratched indes den ultimativen kick gegeben. Im Vergleich zu Jack Nicholson, Hauptdarsteller der gleichnamigen Verfilmung "Einer flog über das Kuckusnest", erscheint Peter Libaug mitunter wie ein hibbeliger joungster, der sich die ersten Diskobesuche ertrotzt. Trotzdem: wohltuende Wellen der Befreiung, die Mcmurphy schlug, schwappten auf das Publikum über, das zwischen den Pausen spontan applaudierte. Faszinierende Schriftzüge, die ein videobeamer in den abgedunkelten Bühnenraum projizierte, provozierten und stimmten nachdenklich zugleich. Einer davon lautete: `Rauchen schadet Ihrer Gesundheit. Der EG-Gesundheitsminister."`"Dann weiter: " Rauchen nützt der inneren Sicherheit`. Der Innenminister." Alles klar, Herr Kommissar? Nur einer flog über das Kuckucknest, aber alle applaudierten. Jedenfalls gab der minutenlange Beifall der Inszenierung von Ekkehardt Dennewitz recht. |