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Wissenschaft


Geschichte zum Anfassen: Matinee mit Johannes Becker


22.10.2000 * (
FJH)
"Ein Land geht in den Westen." Diese Zeile aus Volker Brauns Gedicht "Eigentum" hat der Marburger Politikwissenschaftler Dr. Johannes m. Becker als Titelzeile seines 1991 erschienenen Buchs über ein halbes Jahr Gastprofessur an der Osst-Berliner Humboldt-Universität ausgewählt. Sie gab auch der Matinee den Namen, bei der der Friedensforscher und Frankreich-Kenner am Sonntag (22. Oktober) aus seinem Erfahrungsbericht las und ihn mit Liedern zur Gitarre garnierte.
Gut zwei Stunden lang lauschten rund 50 Gäste gebannt der sonoren Stimme des Autors, der über seine Gefühle, Einschätzungen und Begegnungen berichtete. ER beobachtete die Mauerspechte bei ihrer Arbeit: "Endlich Gechichte zum Anfassen!" Unter der Woche kamen "vor allem türkische Familien, die auf die Schulpflicht ihrer Kinder nur geringen Wert zu legen scheinen", dann "am Wochenende gerinnt das Ganze zu einem fröhlichen Familienspektakel", bis schließlich die letzten Rette Mauer verschwunden sind.
Mitunter gelingen dem Wissenschaftler einfühlsame und sprachgewaltige Beschreibungen, dann wieder driftet er mehr in die analytische Ebene des Politologen ab. Kurzweilig blieb die Lesung freilich schon deswegen, weil Becker ein hervorragender Vorleser ist, der seine Texte durch eine lebendige Betonung nahezu anfaßbar werden läßt.
So kommt auch die betrübnis über den Arbeitsplaztverlust einer befreundeten Wissenschaftlerfamilie im Osten und die Nachdenklichkeit über die rasche Wandlung beim Publikum an. Sinnbildlich zeigt das ein kleines Erlebnis auf der Heimfahrt vom Ost-Wissenschaftler über die Glienicker Brücke zurück nach Berlin am Vereinigungstag: Besoffene Demonstranten legen neben einem Bierzelt die DDR-Fahrne auf die Straße udn fordern ihn auf, mit seinem Auto darüber hinwegzufahren. Ebenso sei - so legt Becker nahe - die Wiedervereinigung über viele Menschen hinweggerollt.
Auch nach neun Jahren deutsche Einheit ist Beckers Bericht immer noch lesenswert. Abgerundet hat der Autor die Lesung zum 10. Jahrestag der Wiedervereinigung mit Liedern von Holger Probst, Klaus Hoffmann, den "Pudies", Wolf Biermann und Bertolt Brecht. Brechts "Kinderhymne" zur Melodie von Ludwig van Beethovens "Freude schöner Götterfunken" hält Becker auch 50 Jahre nach ihrer Widmung zur deutschen Nationalhymne durchh den Dichter für das richtigere Deutschlandlied. Musik und Text, Politik, Poesie und Wissenschaft gingen an diesem Vormittag eine gelungene Symbiose ein, die sicherlich noch mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

PD Dr. Johannes M. Becker
"Ein Land geht in den Westen - ein politisches Tage-Buch"
Dietz-Nachf. Verlag, Bonn 1991



Unruhe an der Uni: OE-Teamer begrüßen neue Studenten


09.10.2000 * (
CcM)
"Hallo Ersties! Willkommen zur OE vom 09.10. - 13.10.2000!" So oder ähnlich lauten die Plakate, die derzeit in der Uni Marburg an allen Fachschaftsräumen zu lesen sind. Und das hat seinen guten Grund: Die letzte Woche vor Semesterbeginn ist immer den Neuankömmlingen in der Universität gewidmet. Man erkennt sie meistens daran, dass sie ein rotes Heftchen mit Erstie-Veranstaltungen ihres Fachbereichs durch die Gegend tragen und ihnen die Orientierungslosigkeit ins Gesicht geschrieben steht.
So geht es auch der zwanzigjährigen Miriam aus Bremen, die in Marburg Geschichte, Medien und Politik studieren will. "Hier muss man erst mal schauen, wo man überhaupt hin muss. Und man hat soviel gleichzeitig zu tun." Klar, denn die Neulinge müssen sich nicht nur in einer neuen Stadt zurechtfinden - vielleicht sogar noch eine Bleibe suchen und sich ummelden - sondern sie müssen auch ihren neuen Stundenplan bauen und versuchen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen.
Um alles ein wenig einfacher und doch manchmal komplizierter zu machen, veranstalten die Fachbereiche gemeinsame Kneipengänge, Stadt-Spiele oder Gebäudeführungen. "Das ist der kleine PC-Saal. Der ist winzig und stickig und deshalb nicht so ratsam" gehört zu den guten Ratschlägen wie: "Hier im Foyer ist ein beliebter Verabredungspunkt für Referatsgruppen."
Überall sieht man in diesen Tagen junge Studenten wie Touristen durch die Stadt laufen. Bald werden sie sich an das Stadtbild und an den Studienalltag gewöhnt haben.
Wer allerdings die Orientierungswoche verpasst, hat meistens hinterher in den Veranstaltungen größere Schwierigkeiten, neue Leute kennen zu lernen. Also, Ersties aufgepasst: sicher bietet Euer Fachbereich auch eine OE an.


Sozialismus oder Wirtschaftlichkeit?: Kuba im Wandel


06.10.2000 * (
CcM)
Ob das derzeitige Interesse an Kuba eine Modeerscheinung ist, wurde am Donnerstag (5. Oktober) im KFZ hinterfragt. Jaime Sperberg, Gerhard Weber und Ina Bratherig von der Philipps-Universität Marburg gaben in Diavorträgen Einblicke in ihre Forschungsarbeit zum Thema "Kuba im Wandel - Wirtschaftliche und soziale Entwicklung der 90er Jahre".
Ina Bratherig, die 1999 für das Fach Politikwissenschaft eine Interviewstudie in Havanna durchführte, stellte die Situation der kubanischen Frauen zwischen Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit dar.
Der Fachbereich Geographie betreibt seit mehreren Jahren ein Forschungsprojekt in Kuba, das vor allem die wirtschaftlichen Reformen und aktuellen Entwicklungen untersucht. Jaime Sperberg erläuterte die Probleme im Zuckersektor. Der Export von Zucker spielte zwischen 1959, dem Jahr der Revolution in Kuba, und 1993, dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblockes, eine vorrangige Rolle. "Man kann bei der Produktion von gigantismo, einem Größenwahn, sprechen, der aufgrund fehlender Anbauflächen für andere Nahrungsmittel zu einer Lebensmittelknappheit und einer Abhängigkeit von Importen, zum Beispiel im Bereich von Pestiziden oder Erdöl, führte," so Sperberg. Mit dem Wegfall großer Absatzmärkte im Osten seit Anfang der 90er Jahre fiel Kuba in eine tiefe Wirtschaftskrise, der zunächst mit einem Notstandprogramm entgegengewirkt wurde. Man will am sozialistischen System festhalten, aber in den letzten Jahren sind in einigen Bereichen graduell kapitalistische Reformen durchgeführt worden, die neben dem Sozialismus auch Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Effektivität fordern. "Es herrscht ein großer Reformbedarf. Dennoch sind in vielen Bereichen lediglich kosmetische Änderungen vollzogen worden. Welche Regierung will schon gern die Kontrolle verlieren?" kommentierte Sperberg den nur langsamen Reformierungsprozess.
Ein weiteres "kubanisches Problem" ist der Dualismus innerhalb des Volkes. Seit Anfang der 90er Jahre sind die Besucherzahlen immens gestiegen, was den Tourismus zu einer wichtigen Einnahmequelle, vor allem für Devisen, macht. Gerhard Weber wies darauf hin, dass man für kubanische Peso nicht einmal Speiseöl oder Rindfleisch kaufen kann, und dass die Bevölkerung deshalb geteilt sei. Bürger, die Zugang zu Devisen hätten, seien im Vorteil gegenüber Bürgern, die nur Peso besäßen, ganz gleich, ob es sich um Arbeiter oder Akademiker handele. Devisen beziehe man zum Beispiel über die Prostitution oder das Taxifahren. Ina Bratherig wies darauf hin, dass die Prostitution verboten sei, dass aber mittlerweise niemand mehr leugne, dass es sie gibt. Es werde in letzter Zeit auf jeden Fall verstärkt gegen die Zuhälterei vorgegangen. Weber beschrieb die Bedeutung von Devisen vor allem in Hinblick auf die verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten, die von Bodegas, in denen mit Bezugsheften eingekauft wird, über teure Agrarmärkte bis hin zu den Dollarläden reichen, in denen man Fleisch, aber auch Elektronikartikel beziehen kann. Da ein Kubaner aber nur einen Verdienst von etwa 210 Peso pro Monat hat und das etwa 10 US-Dollar entspricht, könne man sich wohl ausrechnen, was man sich leisten könne, wenn ein Liter Speiseöl etwas mehr als 2 US-Dollar koste.
Die Versorgung der kubanischen Bevölkerung mit Lebensmitteln wird neben dem Dualismus als das zweitgrößte Problem angesehen und in einem Witz, der um 1994 die Runde machte, sehr gut veranschaulicht. In einem Zoo in Havanna stand ursprünglich ein Schild: "Es ist verboten, die Tiere zu füttern." Bald darauf wurde es geändert: "Es ist verboten, das Futter der Tiere zu essen." Bis schließlich zu lesen war: "Es ist verboten, die Tiere zu essen." Weber meinte, momentan sei man in einer Situation, in der das zweite Schild durchaus seine Berechtigung hätte.
Wer Interesse an der Situation in Kuba hat: Im Foyer des KFZ ist außerdem eine Foto-Ausstellung unter dem Titel "Ein Blick auf El Cobre - Eine fotografische Annäherung an den cubanischen Alltag" zu sehen. Im Studio in der Biegenstraße wird am 11.10. um 17 Uhr, 20 Uhr und 23 Uhr der Film "Lagrimas Negras - Schwarze Tränen" in Spanisch mit deutschen Untertiteln zu sehen sein.


28.08.2000 * Bodenständig: Geologen-Trio baut auf festen Grund


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